Die spinnt ja
Ja na sicher spinne ich. Und das sogar sehr gerne.
Manchmal im Kopf (das ist sehr wichtig, um in dieser Welt zu bestehen. Ohne eine ausgeprägte Fantasie wird man ja verrückt), manchmal aber auch richtig mit der Hand am Spinnrad. Das Spinnen mit der Spindel ist nicht so meins. Zu langsam, zu umständlich. Außerdem bin ich keine “Art Yarn” Spinnerin. Mir reicht es, aus kardierter oder kammgezogener Wolle ein brauchbares Garn für rustikale Pullover und Jacken zu spinnen (gerne auch aus der Wolle alter Schafrassen). Manchmal aber auch ein etwas dünneres, weicheres Garn für Schals oder Dreieckstücher. Außerdem färbe ich meine Wolle gerne und ausschließlich mit Naturfarben. Eine äußerst spannende Tätigkeit. Man weiß nie so genau, welche Farbtöne sich ergeben. Und selbstverständlich gehört zum Spinnen und Färben auch das Stricken und Häkeln.
Aber der Reihe nach:
Häkeln lernte ich mit etwa 4/5 Jahren von meiner Oma. Auch wenn meine Mutter immer behauptet hat, dass ihre Mutter mit ihr nie so geduldig gewesen wäre – meine Oma war der geduldigste Mensch den ich jemals kannte. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass meine Mutter Stricken und Häkeln als altmodische Tätigkeiten begriff (aber die handgestrickten Socken trug sie mit Freude), die von alten Frauen als Zeitvertreib gemacht wurden.
Nachdem ich dann die Häkelei verstanden und meiner Puppe mehrfach neue Klamotten beschert hatte, wollte ich auch Stricken lernen. Das war dann plötzlich nicht mehr ganz so einfach. Aber ich hab es irgendwann begriffen. Nur Socken stricken, vor allem die Ferse, das war nicht so meins. Dazu gibt es auch eine sehr prägende Annekdote:
Wir hatten noch “Handarbeitsunterricht” in der Schule. Unsere Lehrerin war eine sehr verbissene alte Jungfrau. Heute weiß ich, wieso meine Lehrerinnen alle unverheiratet waren. Damals gab es sowas wie ein “Lehrerinnen Zölibat”. Den Frauen wurde bei Androhung des Verlustes einer Verbeamtung und entsprechender Bezüge/Alterssicherung verboten, jemals zu heiraten. Man(n) war überzeugt, dass Frau spätestens wenn sie Mutter wurde keine gute Lehrerin mehr sein könne. Was für ein hahnebüchener Blödsinn! Aber damals gab es ja noch mehr solcher blödsinniger und frauenverachtender Bestimmungen und Gesetze. Ich bin sehr froh, dass das heute ganz anders ist. Trotzdem gibt es auch auf diesem Gebiet noch ne ganze Menge zu tun.
Besagte Handarbeitslehrein ließ uns Mädchen eines schönen Tages Socken stricken. Ein Angstgegner für mich, denn saubere Fersen stricken konnte ich einfach nicht (damals strickte man Socken noch mit Fersenspickel). Aber da war ja Oma. Sie nahm mir das ab und ich lieferte stolz meine fertigen Socken zur Benotung ab. Da habe ich aber die Rechnung ohne meine Lehrerin gemacht. Das Biest, wie wir sie insgeheim nannten, bemerkte das unterschiedliche Maschenbild. Sie sagte mir auf den Kopf zu, dass die Ferse nicht von mir gestrickt wurde. Und da ich nicht lügen konnte, musste ich das zugeben (Lügen war lt. meiner Mutter eine Todsünde und ich kann es auch absolut nicht leiden, angelogen zu werden). Was machte Frau Lehrerin also? Sie ribbelte BEIDE Socken KOMPLETT wieder auf und ich musste sie noch mal stricken. Das Ende vom Lied war, dass ich bis zu meinem 60. Lebensjahr nie wieder eine Socke strickte. Heute kann ich sogar den Spickel, wenn ich mich konzentrieren kann und mich nicht unter Druck setzen lasse.
Übrigens steht in meinem Zeugnis eine 3 für Handarbeit. Was im krassen Gegensatz dazu steht, dass ich schon seit vielen Jahren sehr gerne handarbeite.
Ein zweites traumatisches Erlebnis hatte ich im Verlauf dann einmal mit einem Geschenk, das ich meiner Mutter machte.
Meine Eltern leisteten sich nach dem Auszug von uns drei Gören ein wunderschönes Esszimmer. Möbel aus Eiche, Glasvitrinen und eine massiven runden Tisch zum Ausziehen. Für diesen Tisch häkelte ich eine Zierdecke im Ananasmuster. Eine Heidenarbeit, die mir aber perfekt gelang. Kein Fehler im Maschenbild, gleichmäßige Maschen, ein perfektes Muster. Ich war so stolz auf mich, dass ich beinahe platzte als ich meiner Mutter an Weihnachten das Päckchen übergab (Mama war perfektionistisch und alles musste gut genug sein). Sie packte das Päckchen aus, freute sich angeblich (was ich nicht wirklich bemerkte), legte die Tischdecke an diesem Tag auf – und dabei blieb es dann auch. Ich sah sie nie wieder.
Ich habe meiner Mutter nie wieder etwas Handgearbeitetes geschenkt. Erst kurz vor ihrem Tod schenkte ich ihr eine kleine, aus selbst gefärbter Alpakawolle gestrickte, Pellerine weil sie immer so fror. Und erst kurz vor ihrem Tod sagte sie mir, dass sie mich immer für meine Geduld und Lust aufs Selbermachen bewundert hätte. So bescheuert …
Das Handspinnen kam 2011 dazu. Nachdem das Haus fertig saniert war und ich dringend eine Beschäftigung suchte, die mich davon ab hielt, immer weiter zu arbeiten (zwischenzeitlich hatte ich 2 Burnouts). Zum Nähen fehlte mir die Geduld, bzw. die Lust. Und nachdem ich mir das Spinnen beigebracht hatte, wurde ich süchtig nach Farben aus der Natur.
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Ehefrau, Gastgeberin, Gärtnerin, Köchin, Leseratte, Patchworkerin, Bloggerin, Schottlandverliebt, Frankreichfan mit Hugenottenblut. Mit einer unheilbar positiven Lebenseinstellung.
Brot und Brötchen
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2 Kommentare
Ute
Ich liebe diese Herbstfarben deiner Wolle!
Liebe Grüße Ute
Ulrike
🙂